Es ist ja manchmal krass, was die Veränderung der Kameraposition in Bezug auf das Fotosubjekt – egal, ob das nun ein Mensch, ein Auto, eine Landschaft etc. ist, so an Veränderung der Bildwirkung ausmacht.
Ich nehme jetzt einfach mal die Fotografie von Menschen als Beispiel, ganz einfach, weil das mein Haupttätigkeitsbereich ist.
Als ich mir – es ist nun schon einige Zeit her – der gestalterischen Wirkung des Blickwinkels noch nicht so richtig bewußt war, hatte ich beim Durchschauen der Ergebnisse eines Shootings oft den Effekt, dass ich einige Fotos einer Serie ganz besonders mochte, andere nicht so. So ganz auf Anhieb, ohne dass da jetzt irgendetwas besonders augenfällig wäre. Ich konnte es aber nicht festmachen. Das Licht war in etwa gleich, Pose und Ausdruck auch… es war mir zunächst nicht so recht erklärlich. Oft war es dann aber ganz einfach so, dass die Kamera zwischen den “schon OK, aber nicht so tollen” und den “tollen” Fotos einen anderen, einen für die jeweilige Person besseren Blickwinkel eingenommen hatte.
Leicht erklärbar wird das bei der Fotografie von Kindern – jedenfalls soweit einem die Kinder nicht sowieso schon über den Kopf gewachsen sind:
Typischerweise werden Kinder von fotografisch unvorbelasteten Eltern, Verwandten etc. aus dem Stand fotografiert. Sprich: Der Erwachsene steht und fotografiert auf das deutlich kleinere Kind herunter. Das Beste, was man über solche Fotos sagen kann, ist wohl, dass das gewünschte Fotosubjekt in 85,76 v. H. der Fälle mit im Bild sein wird. Mache ich das so, erzeuge ich eine klassische Abbildung, dessen, was man als Erwachsener mit bloßem Auge typischerweise sieht: “Kind von oben”. Dazu bekomme ich gratis einen typischerweise weniger guten Hintergrund (den kann ich bei der Fotografie von oben herab nämlich nicht wirklich kontrollieren) ohne Horizont und Himmel (dafür dürfte die Kamera nämlich nicht nach unten geneigt sein), und schon ist das Foto fertig für die Mülltonne. Jedenfalls aus fotografisch-technischer Sicht. Denn selbst das technisch schlechteste Foto der Welt kann für die Eltern, Verwandten, etc, das Beste und Wichtigste sein, wenn das Kind gerade etwas besonders Süßes macht, drollig schaut, etc. Das soll jetzt hier aber nicht das Thema sein.
Zurück zum Blickwinkel:
Folge ich mal der einfachen Empfehlung, ein Kind aus dessen Augenhöhe zu fotografieren, habe ich urplötzlich ein deutlich interessanteres Portrait des Kindes. Interessanter ist es schon allein deshalb, weil der Blickwinkel nicht dem entspricht, den wir Erwachsenen normalerweise einnehmen (Oh, mein Rücken…). Ich bekomme unter Umständen (die “Umstände” wären dann die tatsächlich vorhandene Umgebung, meine Brennweite und die Blendenöffnung) sogar die Möglichkeit den Hintergrund zu beeinflussen, indem ich meinen Blickwinkel leicht nach rechts, links, oben, unten verändere. Auf einmal mache ich also nicht mehr nur eine schnöde Kopie dessen, was mein Auge sieht, sondern ich habe mich in die Lage versetzt, ein Foto zu gestalten. Einfach dadurch, dass ich mich gebückt, hingekniet oder hingelegt habe. In diesem Blogpost hier habe ich – etwa im letzten Drittel – mal ein kleines Beispiel zum Thema “Hintergrundgestaltung” gebracht, in dem ich zeige, was ein paar Grad Änderung des Blickwinkels ausmachen können.
Und wie ist das bei Erwachsenen?
Nun ist das bei Kindern eigentlich sehr offenkundig und leicht nachvollziehbar. Die im Titel genannte Maxime gilt aber – wenn auch wesentlich subtiler – auch dann, wenn es nur um wenige Grad oder wenige Zentimeter geht, etwa wenn man einen Erwachsenen porträtiert.
Als ich zuletzt meinen Freund Toto fotografierte – wir sind in etwa gleich groß – war so ein Fall wieder eingetreten: Er stand inmitten des Lichtsetups, ich war ebenfalls mit den Füßen auf dem gleichen Fußboden, machte das erste Foto, und sah direkt, dass ich meine Position idealerweise etwas erhöhen müsste. Ich fotografierte nämlich zu stark unter sein Kinn, was nicht unbedingt super vorteilhaft für ihn war. Also schnell ein Leiterchen geschnappt, auf die unterste Stufe gestellt und schon….. war ich zu hoch: Er musste dann schon eine Spur zu sehr zu mir heraufschauen. Und es sollte ja ein Business Porträt (also selbstbewußt/kompetent aber nicht arrogant, freundlich aber dabei sachlich) und kein Coverfoto für “Unterwürfigkeit heute” werden. *Zefixnochamol* Also auf der Leiter bleiben, aber in eine leicht gebückte Haltung gehen, und schon passte der Blickwinkel. Es ist manchmal in der Tat ein Spiel um Zentimeter.
Bildwinkel und Bildaussage
Am Ende ist das Ausschlaggebende immer die Frage: Was soll das Bild ausdrücken. Denn ein späterer Bildbetrachter nimmt ja zwangsläufig genau die Position ein, die im Moment der Aufnahme die Kamera inne hatte. Und darüber werden Stimmungen und Tendenzen in das Bild gebracht: Schaue ich auf jemanden herab, oder schaue ich zu jemandem auf.
Das ist nicht nur eine Redensart, die im übertragenen Sinn gilt, sondern zunächst mal ganz wortwörtlich schlichtweg vom faktischen Blickwinkel abhängig. Zum Beispiel war es vor ein paar Jahrzehnten zum Beispiel Standard, Frauen eher von oben herab zu fotografieren, damit sie zur Kamera – und damit zum Bildbetrachter – aufschauten. Das galt wohl als perfekter Ausdruck des weichen, warmen, zurückhaltenden [unterwürfigen] Frauenbildes. Helmut Newton hingegen hat seine Kamera oft in einer tiefere Position gebracht, um den Ausdruck von Stärke, Dynamik und Selbstbewußtsein der Frauen in seinen Bildern zu stärken. Es hat also seine Kamera – und damit den Bildbetrachter! – bewußt in eine tiefe, aufschauende Position gebracht.
Wichtig ist ganz einfach die Klarheit darüber, dass Deine Positionierung der Kamera im Moment der Aufnahme auch den Bildbetrachter auf eine bestimmte Position festnagelt und darüber Tendenzen in die Bildaussage bringt. Dieses Stilmittel solltest Du beim Fotografieren unbedingt im Kopf haben und beachten. Dabei ist es natürlich hilfreich, wenn man sich vorher darüber klar wird, was die Bildaussage denn sein soll…