Spiegel-Portraits

Ich bin ja bei meinen letzten Shootings schon mal ein bißchen was ans Experimentieren gekommen. Spiegelungen fand ich in der Landschaftsfotografie schon immer ungeheuer anziehend, und das wollte ich dann auch mal in der Portraitfotografie versuchen. Ich wollte aber nicht einfach das Model vor ‘nen Spiegel stellen (kann auch schön sein), sondern den Spiegel noch etwas “modifizieren”, indem ich ihm zu einigen Bruchkanten verhelfe, die das Spiegelbild dann aufbrechen und in gewisser Weise verzerren. Also habe ich den einen oder anderen Spiegel kaputt gemacht und dabei schon den ersten Lernerfolg gehabt:

Es ist nämlich gar nicht mal sooo einfach, einen Spiegel zielgerichtet zu zerstören. Erstmal braucht es doch überraschend viel Krafteinwirkung, damit so ein Spiegel überhaupt bricht. Und dann darf es aber wieder nicht zuviel Kraft sein, sonst zerbricht der Spiegel nicht in nur einige größere Teile, sondern wird umgehend atomisiert. Und dann musste der Spiegel zwar zerbrochen, aber doch mit allen Bruchstücken halbwegs plan auf eine eben Fläche gebracht werden.Dabei gab es dann den nächsten Lernerfolg:

Einen Spiegel erst zu zerlegen und anschließend die Einzelteile aufzukleben geht solange gut, bis man das letzte Teil einsetzen möchte. Das passt dann auf einmal nicht mehr, weil man die Einzelstücke natürlich nicht so eng aneinander fügen kann, wie sie es ursprünglich unzerbrochen einmal waren. Einen Spiegel erst aufzukleben und dann zum Zerspringen zu bringen, führte dann aber wieder zu Splittern in Glasmolekülgröße im Zentrum der Krafteinwirkung, aber auch zu einigen nutzbaren Bruchlinien etwas außerhalb des zerstörenden Einschlagbereiches.

Am Ende hatte ich jedenfalls zwei nutzbare zerbrochene Spiegel und zusätzlich ein paar größere Spiegelscherben. Damit ließ sich dann arbeiten.

Meine beiden Spiegel. Rechts der Spiegel, den ich erst zerbrochen und dann in Einzelteilen aufgeklebt habe. An dem “bröseligen” Bereich (ca. 8-Uhr-Position) seht ihr, wo das letzte Teilstück als Ganzes nicht mehr gepasst hat. Links ist der Spiegel, den ich erst aufgeklebt und dann mit der zerstörerischen Kraft traktiert habe. Beide Methoden führen zu jeweils sehr unterschiedlichen Bruchmustern.

Wenn man dann ein Portrait im Spiegel fotografiert, schließt man mit der nächsten Problematik Bekanntschaft, über die man nachzudenken hat: Fotografiere ich “ganz normal” ein Model, muss ich natürlich auf den Hintergrund des Models und die Ausleuchtung a) des Hintergrunds und b) des Models achten. Das bleibt im Grundsatz natürlich auch weiterhin so. Nur, dass ich ja jetzt nicht mehr VOR dem Model und dem Set stehe, um ein Portrait zu schießen, sondern in Richtung des Spiegels fotografiere, der sich ja ungefähr an der Stelle befindet, wo sonst die Fotografenposition ist. Infolgedessen stehe ich als Fotograf natürlich hinter dem Model knapp neben oder sogar im Set. So ungefähr:

Das Set aus der sonst üblichen Fotografenposition: der Spiegel ist auf der Holzplatte aufgeklebt, hinter dem sich aus diesem Blickwinkel das Gesicht des Models verbirgt
Das Set von der Seite aus fotografiert.

Die Problematik dabei ist jetzt, dass ich sowohl das Model mit ihrem Hintergrund, den Lichteinfall auf dem Model und auf dem Hintergrund optimieren muss, dabei zugleich die Position des Gesichts zu den Bruchlinien des Spiegels anordnen und natürlich – jedenfalls bei kleinere Spiegeln, die nicht das ganze Bild ausfüllen – auch noch den Hintergrund hinter dem Spiegel im Auge haben muss. Und nicht zuletzt muss man auch noch darauf achten, nicht selbst im Spiegel aufzutauchen. Du siehst, da treten auf einmal eine Reihe weiterer Dinge auf, auf die man beim Fotografieren so eines Spiegelbilds achten muss.

Ein weiteres Puzzleteil, dass passen muss, ist die Ausdehnung des Schärfebereichs. Ich fokussiere ja auf das Spiegelbilds des Models. Das bedeutet, die Schärfeebene liegt um die Distanz hinter dem Spiegel, die das Model vor dem Spiegel steht. Den vorherigen Satz bitte nochmal lesen, damit klar ist, was gemeint ist :-). Wenn ich nun auch die Bruchlinien im Spiegelglas einigermaßen scharf haben möchte, muss ich also ziemlich abblenden, um den Schärfebereich entsprechend auszudehnen. Hier mal zwei Bilder, um diesen Punkt zu illustrieren:

Ein Bild aus meinem allerersten Spiegelexperiment: Nach einem sehr erfolgreichen Shootingvormittag haben wir “noch mal eben schnell” ein paar Spiegelbilder versucht und einfach mit Fensterlicht – und daraus resultierender relativ offener Blende von 3.2 gearbeitet. Folge: Die Bruchlinien sind sehr unscharf und als solche kaum zu erkennen. Nicht unbedingt ein schlechtes Bild (ich mag es sogar sehr), aber es ist zumindest nicht sehr offensichtlich, was da im Foto los ist. Model: Sunshine
Ein Bild vom Shooting, bei dem auch die Setfotos oben entstanden sind. Aufgenommen mit Blende 8. Die Bruchkanten sind zwar auch nicht knackscharf, aber doch erheblich deutlicher als solche zu erkennen.
Model: Anna

Also: Viele Variablen, die man austarieren muss, aber am Ende kommen da interessante Ergebnisse bei raus. Ein paar der Variablen kann man aus der Gleichung herausnehmen, indem man einfach einen größeren Spiegel verwendet. Was hinter dem Spiegel ist wird dann irrelevant, weil es im Foto nicht mehr zu sehen ist. Auch für die Ausrichtung des Models zum Spiegel und zur Position des Fotografen ergibt sich mehr Spielraum. Auf der anderen Seite wird der Spielraum für die Lichtsetzung auf das Model eingeschränkt, weil ein größerer Spiegel einfach mehr Platz beansprucht. Und es wird natürlich teurer. Ob ich vier Versuche für zwei nutzbare Spiegel von ca. 30x30cm brauche oder für einen Spiegel von 80x80cm bedeutet einen signifikaten Kostenunterschied. Ganz zu schweigen davon, dass ein größerer Spiegel natürlich eine stabilere Aufhängen braucht, möglicherweise eine Mehrpunktaufhängung, was Veränderungen der Spiegelposition wiederum unbequemer macht. Wie immer in der Fotografie: Man bekommt was (hier: Spielraum und Vereinfachung beim Fotografieren), aber man muss auch wieder etwas aufgeben (hier: Geld für größere Spiegel, Optionen für die Lichtsetzung und eine eher einfache Spiegelverstellung).

Am Ende noch ein paar Tipps, wenn ihr mit so etwas experimentieren wollt:

  • Baut erst alles aus der Sicht des Spiegels auf. Richtet das Licht auf dem Model also so ein, als würdet ihr es “ganz normal” fotografieren.
  • Nehmt keinen zu kleinen Hintergrund hinter dem Model, sonst kämpft ihr auch noch mit dessen jeweiligen Enden im Spiegelbild.
  • Nehmt eine eher lange Brennweite, denn kleine Bildwinkel vereinfachen den Kampf ungemein.
  • Blendet ordentlich ab, wenn ihr die Bruchkanten auch halbwegs scharf im Bild sehen wollt.

In diesem Sinne: Viel Spaß beim Experimentieren!