Mach Dir aber bloß nicht so viel Arbeit…

Kennst Du das auch? Jemand aus dem Bekannten-, Freundes- oder Kollegenkreis fragt Dich, ob Du mal ein Foto von ihr/von ihm machen könntest. Zum Beispiel einen Headshot für die Fotogalerie im Büro. Oder für irgendeinen anderen Zweck, wo ein “einfaches Portrait” gebraucht wird. Du freust Dich, dass Du Deine fotografische Expertise für einen guten Zweck einsetzen kannst und sagst natürlich “Ja”.

Du sagst vielleicht sogar “OK, und weil ich dann sowieso ein bißchen Ausrüstung dabei habe, überleg Dir mal, was Du vielleicht noch für Fotos von Dir brauchen könntest.” So ganz einfach, weil Du Dein Zeug eh mitschleppen wirst und weil Du ein netter Mensch bist. Und weil Du für Deine Freundlichkeit diesen Headshot dann unter Umständen später mal in Deinem Portfolio verwenden kannst.

Und dann kommt er, dieser Satz:

“Mach Dir aber bloß nicht so viel Arbeit, es ist ja nur für XYZ.”

 Aaaargh.

Soll das jetzt ein vernünftiges Portrait werden oder nicht?

Wenn nicht, warum werde ich dann überhaupt gefragt?
Allein die Tatsache, dass ich angesprochen werde und der- oder diejenige nicht einfach irgendjemandem ihr Smartphone in die Hand drückt (oder gleich ein Selfie macht), lässt doch darauf schließen, dass meine Sachkunde als Fotograf gefragt ist.

Jaaa, ich weiß: Dieses Statement ist wirklich nicht “böse” gemeint.

Entweder ist es schlichtweg ein Ausdruck von Höflichkeit, weil man zwar einerseits schon gerne ein gutes Foto von sich hätte, aber andererseits dem Freund/Kollegen/whatever tatsächlich nicht übermäßige Umstände bereiten möchte.

Oder es ist dem Umstand geschuldet, dass in den Augen der meisten Menschen der Fotograf einfach “seine gute Kamera” mitbringt, diese grob in die Richtung der zu fotografierenden Person hält, den Auslöser durchdrückt und schon purzelt dort eine ganze Reihe der tollsten Bilder heraus.

Es ist nur: So geht das leider nicht.

Wenn ich ein handwerklich ordentliches oder vielleicht sogar ein richtig gutes Portrait machen soll, bedingt das je nach gewünschtem Ergebnis und der Situation vor Ort eben einen gewissen Minimaleinsatz von Equipment (und übrigens auch Zeit). Auch wenn ich Materialeinsatz kleinstmöglich halte, habe ich – davon ausgehend, dass ein als Hintergrund geeignetes neutrales Stück Wand vor Ort verfügbar sein wird und daher das Hintergrundsystem im Schrank bleiben kann – doch mindestens ein Licht (besser zwei oder drei) mit entsprechenden Stativen und Auslösern, einen Reflektor (mit Halter und Standfuß), Kamera und Objektiv im Gepäck.

Willkommen im Kampf der Realität gegen uralte Werbeversprechen. Denn wie war das noch – so ganz damals: “Sie drücken den Knopf, wir machen den Rest.” Und wenn das schon damals galt, dann muss es ja heutzutage angesichts des technologischen Fortschritts erst recht so sein. Da hat das Marketing einer längst untergegangenen Firma wirklich ganze Arbeit geleistet.

Und dagegen gilt es, anzugehen. Je nach Kunde zeige ich zum Beispiel den einen oder anderen Effekt, die diese oder jene Leuchte bringt, direkt auf dem Display der Kamera. Da geht dann dem einen oder anderen doch ein Licht auf – und zwar gleichermaßen im Kopfe wie im Wortsinn. Nur muss ich dazu die entsprechenden Lichter halt erstmal mitbringen, also doch ein bißchen Aufwand treiben.

 

Und es ist es halt ein Prozess, der eine gewisse Weile dauert, bis alle Lichter einer Portraitsitzung in der genau richtigen Weise aufgehen, insbesondere, wenn das Portrait individuell sein soll. Natürlich kann ich ein Portraitshooting beschleunigen, indem ich ein einmal ausgemessenens und funktionierendes Setup immer wieder in genau gleicher Art und Weise aufbaue. Dann kommen aber eben auch die immer gleichen standardisierten Ergebnisse raus. Die sind dann sicherlich auch OK, aber eben nicht mehr. Und sie sind schon gar nicht individuell auf die Person vor der Kamera zugeschnitten.

Solltest Du keine Fotografin/kein Fotograf, sondern vielmehr eine potenzielle Kundin/ein Kunde sein, gehe ein Portraitshooting bitte nicht mit der Erwartungshaltung an, dass der Fotograf ein handwerklich angefertigtes Portrait mit der Geschwindigkeit eines Passbildautomaten heraushaut. Und erwarte, dass auch ein “einfaches Portrait” durchaus komplexe Lichtsetups erfordern kann.

Und wenn Dir ein sachkundiger Freund oder Kollege ein kleines kostenfreies Portraitshooting zusagt, lass ihn einfach machen. Und sag ihm nicht, er soll sich keine Mühe geben. Erstens hört er sowieso nicht auf Dich und zweitens könnte er sich (oder Dich) fragen, ob Du jetzt ein schnelles oder ein gutes Portrait haben möchtest. Da müsstest Du Dich dann wohl entscheiden…. 😉