Die unendliche Geschichte vom “bösen Photoshop”

Mahlzeit. Es ist mal wieder soweit. Eine kleine Bemerkung darüber, dass ich bei der Bearbeitung eines Portraits ein paar Pickelchen habe verschwinden lassen, wurden mit den Worten “das ist ja heute eh alles Betrug” kommentiert. Der Kommentator meinte das nicht mal böse, er hat ganz einfach gedankenlos eine bei vielen Leuten vorherrschende Meinung repetiert. Denn das ist ja leider so: Bei vielen Leuten ist felsenfest eingeprägt, das Photoshop an sich böse ist und Bildbearbeiter, die zugeben dieses Teufelswerkzeug zu benutzen, sich umgehend einem Exorzismus zu unterziehen hätten. Oder so ähnlich.

Und das kann man “normalen” – also nicht fotografisch vorbelasteten – Mitmenschen noch nicht mal wirklich übel nehmen. Denn natürlich gibt es einige Negativbeispiele – durchaus auch zu hauf: Fotos von Stars und Sternchen oder solchen, die es werden wollen, die unter Einsatz von kräftiger Retuschearbeit in Photoshop zu einem Zerrbild der Wirklichkeit geworden sind. Oder tatsächlich in der Absicht der Verzerrung historischer Wirklichkeiten manipulierte Fotos aus der Weltgeschichte.

Und dann gibt es natürlich noch das Genre der wirklich gruseligen Über-Bearbeitung, wo dem Bildbetrachter Augäpfel und Zähne in reinstem Weiß entgegenstrahlen und die Poren der Gesichtshaut anscheinend während der Fotosession in Urlaub gefahren waren. Auch solche Untaten sind in meinen Augen nicht wirklich dazu angetan, der digitalen Bildbearbeitung zu mehr Ansehen zu verhelfen.

Und wie immer macht es sich “der Mensch an sich” dann einfach und pauschalisiert angesichts dieser Negativbeispiele. Mit dem Ergebnis: Bildbearbeitung mit Photoshop bedeutet grundsätzlich Verfälschung und Verzerrung des Fotos. Mindestens aber übertriebene und grundsätzlich per Gesetz verboten gehörende Schönung des “Basismaterials”.

Seufz.

An dem grundsätzlichen Hang zu Pauschalierungen kann man wohl nicht wirklich ändern. Auch wenn man geneigt ist, nochmals und abermals zu erläutern, dass unsere Wahrnehmung eines anderen Menschen im persönlichen Umgang überaus selektiv ist, und wir uns üblicherweise nach einem persönlichen Kontakt bestenfalls an das generelle Erscheinungsbild erinnern und daran, ob wir den Kontakt mit der Person angenehm fanden oder nicht. Ob da jetzt ein Pickelchen auf der Wange war oder die letzte Nacht ein paar Augenringe hinterlassen hatte, wissen wir dann nicht mehr. Denn im persönlichen Kontakt stellt das “Anschauen” ja nur einen einzelnen der verschiedenen Sinneseindrücke dar, den wir von der Person haben.
Anders bei einem Portraitfoto. Denn mit einem Foto liegt zunächst mal lediglich die auf zwei Dimensionen eingedampfte Oberfläche eines Menschen vor uns, die wir dann in aller Ruhe und ungestört studieren können. Mimik, Gestik, Stimme und Geruch spielen plötzlich keine Rolle mehr, weil sie im Foto nicht vorhanden bzw. auf eine einzelne Position eingefroren sind. Und genau dadurch fallen uns in einem Foto plötzlich Dinge auf, die wir vorher gar nicht gesehen haben. Das bereits zitierte Pickelchen auf der Wange, Augenringe oder was auch immer.

Was also ist so schlimm daran, wenn ich die Wiedergabe auf einem Foto an die im persönlichen Umgang empfundene Realität anpasse?

Antwort: NIX. Eigentlich.
Ich muss nur darauf aufpassen, nicht über’s Ziel hinauszuschießen – Stichwort “Porzellanhaut”. Und ich muss mich darauf gefasst machen, dass mich andere Leute trotzdem kreuzigen (bitte links entlang) oder steinigen (bitte rechts entlang) wollen, einfach weil es die pauschalisierte Abwehrhaltung gegenüber dem “bösen” Photoshop ist.

Besonders amüsant finde ich dann in diesem Kontext, wenn die “früher war alles besser”-Fraktion das Wort ergreift: “Früher hätte es das nicht gegeben. Da hat man das Bild in der Kamera fertiggestellt.”

Ach ja?

Unbestritten war Bildretusche früher deutlich mehr Leuten verschlossen, als es heute der Fall ist, denn entweder musste man sein eigenes Labor sein und über vertiefte Kenntnisse verfügen, oder man musste entsprechende Fachleute beauftragen. Ich empfehle mal einen Blick auf diese Seite hier, oder in dieses Video über Ansel Adams.
Zugegeben, solchen Aufwand betrieben wohl nur wenige. Aber auch daraus wird ja heutzutage gleich mal wieder pauschal abgeleitet, dass es nachträgliche Bildbearbeitung “früher” nicht gegeben habe. Da verstellt die Verklärung des analogen Fotografie-Zeitalters dem einen oder anderen prächtig den Blick auf die Tatsachen.

Heute ist die Nachbearbeitung dank der Digitaltechnik halt nur viel mehr Fotografen zugänglich, denn einen Computer hat ja bei dieser Personengruppe nun wirklich jeder, und auch die erforderliche Software ist erschwinglich oder gar frei verfügbar.

Also bitte, liebe Photoshop-Kritiker: Haut doch nicht immer so pauschale Urteile raus. Überlegt euch mal, ob ihr es wirklich so toll fändet, wenn der Fotograf auf eurem Foto den dicken Pickel auf der Nase, der sich natürlich just am Tag des Fotoshootings zu voller Blüte entwickelt hat, einfach im Bild lassen würde, weil nachträgliche Retusche ja die Wirklichkeit verfälscht und deshalb generell abzulehnen ist…
Und nochmals: JA, ich weiß, dass es auch Fälle gibt, wo Bildretusche tatsächlich zur Verfälschung der Wirklichkeit eingesetzt wird. Aber das ist eben bei weitem nicht der Normalfall. Und wo genau die Grenze zu ziehen ist, ist eben Ansichtssache und kann im Zweifel immer nur auf den konkreten Einzelfall bezogen diskutiert werden. Pauschalisierung hilft da nicht weiter. Außer natürlich, es ist das erklärte Ziel, eine Kontroverse auszulösen…

In diesem Sinne wünsche ich weiterhin viel Gelassenheit, frohes Retuschieren und frohes Kritisieren…

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